Von IM Frank Zeller

Foto v.l.n.r.: IM Valerij Bronznik, Marc Gustain, Markus Brenner, WIM Mara Jelica, IM Frank Zeller (alle vordere Reihe), FM Robert Dabo-Peranic, Tim Winkler und Sebastian Fischer.

Eine schöne neue Tradition hat da der Württembergische Schachverband geschaffen: zentral veranstaltete Schlussrunden in der Oberliga gibt es nun seit drei Jahren. Am letzten Wochenende war es wieder so weit: diesmal richtete die SG Vaihingen/Rohr den Event aus. Die Aula des Hegelgymnasiums bot großzügigen Platz für die zehn Teams, die unter sich den Meister Württembergs sowie die Absteiger ausspielten. Oben wie unten in der Tabelle war noch einiges an Spannung geboten, wir Deizisauer hingen so zwischendrin auf einem komfortablen Mittelfeldplatz. Somit konnten wir entspannt unserem Match gegen Sontheim, dem bereits abgeschlagenen Tabellenschlusslicht, entgegensehen. Wir waren haushoher Favorit, und wurden dieser Rolle letztlich auch gerecht, wenngleich der 7:1 – Kantererfolg etwas zu hoch ausfiel.

Von den Stammformation fehlte diesmal Ovidiu, und das mag durchaus daran liegen, dass es „um nichts mehr ging“ und unser rumänischer IM immer die weiteste Anreise zu den Oberligaspielen hat. Dafür waren wir sonst in voller Montur angetreten, auch Robert war wieder aus Kroatien angereist. Tim Winkler bekam die Chance zu seinem ersten Oberligaeinsatz, den er auch souverän meisterte. Leider funktionierte die Internetliveübertragung der Partien nur arg bruchstückweise – dem Team um Marc Lang gelang es trotz zusätzlicher Nachtschicht nicht, die Impulse der Züge ins Netz zu übertragen (auch Internet kochte im Gymnasium auf Sparflamme, hier werden die Schüler offenbar noch mit Büchern unterrichtet!). Die Störquelle wurde schließlich im Keller geortet: ein Generator warf offenbar magnetische Fangnetze aus, die die Elektronikbretter verrückt werden ließen. Schade. Spieleiter Carsten Karthaus gelobte auf den Seiten des Schachverbandes (der sehr gut und ausführlich darüber berichtete!)  für das nächste Jahr Besserung und verstärke Aufmerksamkeit auf die technische Umsetzung im Vorfeld. Videostream, Livekommentierung und das entscheidende Match über den Aufstieg zwischen Stuttgart und Weiler lief auf jeden Fall über den Äther, damit die Daheimgebliebenen doch einiges mitbekommen konnten. Vor Ort mangelte es einem an nichts, man konnte viele Bekannte und alte Freunde treffen bzw. wiedersehen, die Verköstigung war super, Sotis Schachdepot war mit einem Bücherstand vor Ort, sogar viele Zuschauer nahmen den Weg am Sonntagmorgen auf sich.

Zu unseren Partien: die Eröffnungsphase versprach schon ein paar heiße Partien: etwa mein Lg5-Sizilianer gegen den Najdorf, bei dem ich bald zum Opfern übergehen musste. Oder das Morra-Gambit, das Valerij vorgesetzte bekam, und das Teamkapitän Markus und mir nach gerade mal 8 Zügen einen Schock verpasste: hatte Valerij da irgendwas „vergessen“?

Der übliche Zug ist 8. …a6, und da Matt auf d6 droht, eröffnet sich einem sofort, warum diese Vorsichtsmaßnahme vonnöten zu sein scheint. Hat Valerij einen Fingerfehler begangen? Markus und ich waren davon überzeugt, und wir nahmen auch an, dass Schwarz sehr prekär stünde. Wenig später musste Valerij die Damen geben.
Nach 11.Sd6+ Dxd6 12.Dxd6, doch immerhin erhielt Schwarz nach …Lxc4 (oder …Td8, hier weiß ich nicht mehr die genaue Zugreihenfolge) drei Figuren für die Dame. So schlimm schien es gar nicht zu sein – wenngleich der Eindruck noch blieb, dass wenn, dann eher Weiß im Vorteil wäre.

Doch als ich später wieder mal am Brett vorbeischlenderte (ich war mittlerweile sehr in meine eigene komplizierte Partie involviert!) sah es optisch immer besser für Valerij aus. Seine drei Figuren waren aktiv, von einem weißen Vorteil war gar nichts mehr zu erkennen – später erfuhr ich dann, dass Valerij gewonnen hatte! Die eigentliche Pointe kam erst hinterher, als ich ihn fragte, ob er 8. Sb5 „vergessen“ hätte. Das irritierte ihn, und er verblüffte mich mit der Antwort: „nein, wieso? Ich habe alles vorbereitet. Die Variante ist eher besser für Schwarz!“
Er hatte sich tatsächlich ganz BEWUSST für diese Variante entschieden, um seinen Gegner Glauben zu machen, er hätte einen Fehler begangen. Soweit ich das mitbekam, hat er für seine Züge auch stets länger überlegt, obwohl er genau wusste, was er spielen wollte – so ein Schlingel!
In der Datenbank finden sich nur zwei Partien zu 7. …h6, und beide haben die Schwarzen, Amateurspieler, glatt verloren. Valerij war es gelungen, eine unterschätzte Nebenvariante zu finden. Und alles kam so aufs Brett. Hut ab, super Vorbereitung! Und zudem noch Sonderpreis fürs Pokerface!

Nicht viel los war dagegen bei Sebastian. Weiß besaß das Läuferpaar und optische Vorteile, doch es gelang unserem Mann nicht, diese nachhaltig zu nutzen. Und dann war da noch die rasante Geschwindigkeit, mit der sein Gegner, Sören Pürckhauer, seine Züge aufs Brett brachte. Da fällt mir ein, dass ich zufällig in der Kantine, als ich mich mit Kaffee und Butterbrezeln stärkte, das Gespräch der Mannschaftsführer belauschte. Es ging um die Frage, wie man die Bedenkzeit in der Oberliga künftig regeln sollte. Im Moment spielen wir Fischer kurz, d.h. nur 90 Minuten Basiszeit plus Inkrement. In der 1. und der 2. Liga wird der Modus Fischer lang angewandt, also 100 Minuten, und dann auch noch üppigere Bedenkzeit für das Endspiel. Pürkhauer, der Mannschaftsführer von Sontheim ist, votierte ausdrücklich für den kurzen Modus – er ist ein Vertreter des „so kurz wie möglich“. Kein Wunder, nutzt der Blitzspezialist doch auch nur einen Bruchteil seiner Bedenkzeit und langweilt sich meistens! Andere Teamchefs waren da „gemischter“ Ansicht. Ich für mein Teil bin - das sollte bekannt sein - für so viel Zeit wie irgendwie möglich! Auch kein Wunder, gerate ich doch leider zu oft in Zeitnot!!! So hat jeder sein Päckchen zu tragen…

Unser Teamchef Markus indessen baute seine überlegene Stellung aus, schnappte sich einige Bauern, um am Ende noch mit einer gefälligen Kombination zu brillieren:

M. Brenner – B. Masur (nach 42. …Tc2)

43.Tf8+! Sxf8 44.Lc5! und der kleine Bauer verwandelt sich in eine mächtige Dame.

Mittlerweile hatte auch Ersatzspieler Tim seine Partie in den Griff bekommen und dem Gegner kombinatorisch eine Figur abgejagt.

Marc stand sowieso schon frühzeitig ausgezeichnet, griff als Schwarzer an, während Weiß an einer schlechten Königsstellung laborierte. So kam es, wie es kommen musste, irgendwann fiel Marc über den gegnerischen Monarchen her und erzwang die Aufgabe.

Ähnliches hatte ich auch mit der Majestät meines Gegners vor. Ich hatte mich gegen den Najdorf vorbereitet, und wollte die schärfste Waffe anwenden: Lg5 gefolgt von langer Rochade, frontaler Angriff gegen den meist in der Mitte steckenbleibenden schwarzen König.
Allerdings gab es zu viele Opfermöglichkeiten. Ich konnte die vielen Motive nicht richtig kombinieren und mich nicht entscheiden; so verpasste ich eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Partie frühzeitig zu beenden. Trotzdem blieb mein Gegner, Kevin Walter, mächtig unter Druck, wir beide verbrauchten sehr viel Zeit. In der Folge bot ich mehrfach Figuren zum Opfer an; das war in den meisten Fällen korrekt und traf einfach den Nerv der Stellung, hier MUSS Weiß opfern, was das Zeug hält. Doch eine Opferversion war etwas spekulativ von mir, in einem Moment hätte er mir Probleme bereiten können. Aber nachdem er diese einmalige Chance verpasste, lief es wie geschmiert, und ich konnte ein hübsches Kleinod abliefern.

F. Zeller – K. Walter (nach 21. …Dc7)

Mit 22.Sdb5! konnte ich zur finalen Attacke blasen. (Partie im Game-Viewer!)

Anschließend bekam ich mit, dass auch Mara gewonnen hatte. Bei ihr tobte eine heiß umkämpfte Partie mit gar seltsamer Materialverteilung (3 Figuren gegen zwei Türme, wobei die weißen Figuren etwas unkoordiniert standen). Mir schien, dass sie eher etwas gefährdet stand, doch in der Zeitnotphase setzte sich ihre überlegene Spielstärke durch. Somit stand es plötzlich 6,5:0,5 für uns, und es lief noch die Partie von Robert, der im Breier-System mit Schwarz seinen Gegner zusehends positionell überspielte. Doch irgendwas lief in der Verlängerung falsch; er tauschte zu früh, oder schloss voreilig Linien – jedenfalls war irgendwann ein toter Moment erreicht, er konnte nicht durchkommen und musste, etwas frustriert, ins Remis einwilligen.

Somit ein ordentlicher 4. Platz für Deizisau II (dasselbe Resultat machte Deizisau I in der 1. Liga nach, oder vor… ein riesen Ergebnis so oder so!). Nach schlechtem Start hatten wir uns berappelt, in manchen Kämpfen war durchaus mehr drin, insgesamt passt das zum Potential des Teams, das überwiegend, aber nicht immer in Stammbesetzung antrat.

Links:
http://www.svw.info/
http://www.svw.info/referate/spielbetrieb/14365-stuttgarter-sf-sind-mannschaftsmeister-von-wuerttemberg
https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/oberliga-wuerttemberg-2018-2019/9/1/1
https://www.youtube.com/watch?v=WZtLy9GFP44
Berichte mit vielen Bildern, Videos, Partien etc…